Der Weg
(Modell für Beziehungen und Partnerschaft)

Gibt es ein Modell oder Schema für Beziehungen – etwas, das wie eine Grammatik erlernbar ist und ein dauerhaft harmonisches Miteinander ermöglicht?

Sicherlich nicht, denn in jede Beziehung sind mehrere Menschen involviert, und die Wahrnehmung sowie der Blick jedes Einzelnen auf die Welt und auf sich selbst sind unterschiedlich.

Liebe ist das Kind der Freiheit,
niemals das der Beherrschung.3

Erich Fromm

Ach, wäre das schön – es wäre das Ende aller Sehnsucht.

Doch schon an den Wörtern scheiden sich die Geister.
Was ist Liebe? Was ist Freiheit?
Wo beginnt das eine, wo endet das andere?

Wir können Liebe und Freiheit aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten: egoistisch, streng moralisch oder aus einer libertären Perspektive. Schauen wir auf die Liebe aus einem Zustand des Mangels oder der Fülle – oder so, als würden wir aus einem Fenster in die Geborgenheit unseres Heims schauen oder aus diesem in die Weite der Welt hinaus.

Eines ist jedoch sicher: Die Perspektive, aus welcher wir auf diese scheinbar einfachen Begriffe blicken, ist geprägt von unserer Biografie und Kultur. Und da jeder anders aufgewachsen ist und sich unterschiedlich entwickelt hat, wird ein gemeinsames Verständnis immer nur eine Annäherung sein.

Anzuerkennen wie unterschiedlich unsere Welten sind und das jeweilige Universum jedes Einzelnen beschaffen ist, ist die Reise jeder Beziehung

Jede Beziehung ist ein Spiegel

Jede zwischenmenschliche Begegnung spiegelt unsere eigene Geschichte wider – und genau hier entstehen oft Konflikte.
Was für den einen selbstverständlich und richtig ist, kann für den anderen befremdlich oder bedrohlich wirken.

Um solche Differenzen nicht eskalieren zu lassen, suchen viele von uns nach einer ultimativen Wahrheit: im kulturellen Umfeld, bei Freunden, in gesellschaftlichen Normen oder in Ratgebern.
Manchmal hoffen Paare sogar in der Therapie auf eine höhere Instanz, die den „richtigen“ Weg kennt und den anderen zur „Einsicht“ bringt. Doch so funktioniert es nicht – denn eine für alle gültige Wahrheit gibt es nicht.

Obwohl wir uns nach Sicherheit und Struktur sehnen, wird Liebe, als Kind der Freiheit, in einer Regeldiktatur verkümmern.Andererseits geht es ohne Regeln nicht – sonst würde jeder einfach tun, was er will.

Deshalb sind Respekt, Achtsamkeit und Kompromissbereitschaft die Grundpfeiler jeder Beziehung.

Respekt

Respekt bedeutet, die Sichtweise anderer auf die Welt zu respektieren, auch wenn ich sie nicht teile oder sogar vehement ablehne. Was wir Werte nennen, wurde durch Konditionierungen und Lebensgeschichten geprägt. Was für den einen angemessen ist, kann für den anderen völlig unpassend sein.

Wir sollten nie vergessen, dass die Wege zur Hölle mit guten Absichten gepflastert sind.

Achtsamkeit

Achtsamkeit bedeutet Rücksicht auf die mögliche Interpretation meiner Handlungen, durch den jeweils anderen zu nehmen: Was für mich selbstverständlich ist, kann für einen anderen Übergriffigkeit oder gar Grausamkeit bedeuten. Achtsamkeit bedeutet dabei aber nicht, dass ich mich zurücknehme und verrate, sondern im Miteinander immer auch den anderen „sehe“.

Kompromisse

Kompromisse bedeuten keine starren Regeln, sondern vorübergehende Vereinbarungen, die das Zusammenleben mehrerer Menschen ermöglichen. Sie sollten ehrlich sein, ausgesprochen werden und nicht aus Angst oder Mitleid entstehen

Ein Modell

Es gibt kein generisches Modell oder universelle Regeln für Beziehungen, denn die Welt ist vielfältig und die Wahrnehmung jedes Einzelnen ist anders. Auch sind Paar- bzw. Beziehungsberater keine Wissenden oder Richter.

Was jedoch existiert, ist ein Modell, das uns durch die vielen möglichen Fallstricke, Missverständnisse sowie die magischen Momente auf dem Weg zur Selbsterkenntnis und persönlichen Reife führt.

Es ist eine grobe Anleitung für das Labyrinth der Beziehungen. Es ist keine Landkarte, sondern eher eine Standortbestimmung mit Hinweisen auf die neuen Perspektiven und Herausforderungen, die auf uns warten.

Der Start – Allein sein:

Der Mensch sucht einen Spiegel oder Du möchtest wie die meisten schlichtweg nicht allein sein.

Du lernst einen Menschen kennen, mit dem Du die Reise antreten willst und es scheint, dass dieser Mensch alles hat, wonach sich Dein Herz verzehrt.

Das zieht Dich magisch an.

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Sich verlieben:

Du entscheidest, dich weiter zu öffnen und begibst dich auf die erste grosse Reise. Oder aber Du zögerst: Ist er, ist sie es wirklich? Willst Du dich gemeinsam auf den Weg machen oder wartet um die Ecke etwas Besseres?

Und wie sieht es mit den ersten Kompromissen aus?
Habt ihr beide ähnliche Vorstellungen von einer Beziehung – Treue, Kinder, Karriere?

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Ein Paar sein:

Ihr seid unterwegs und jeder hat seine Projekte und Verantwortlichkeiten (Kinder, Karriere, persönliche Entwicklung, etc.). Anfangs läuft es richtig gut – ihr scheint das perfekte Team, aber ganz langsam gehen Mann und Frau verloren. Ihr seid nur noch Team und ihr beginnt euch voneinander zu distanzieren.

Vielleicht stellt ihr fest, ihr könnt immer weniger miteinander reden und dennoch nicht ohne den anderen sein – die erotische Anziehung und die Magie des Augenblicks sind verschwunden.

Ihr seid in eine merkwürdige Abhängigkeit geraten, vielleicht hat einer von euch auch schon eine Affäre und denkt ans Ausbrechen.
Aber wohin?

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Zurück zu sich selbst:

Du beginnst dich selbst wieder wichtiger als die Partnerschaft zu nehmen und schaffst es die Beziehungsblase zu verlassen. Vielleicht reist Du einige Tage einmal allein bzw. ihr geht unterschiedliche Wege.

Dies kann der Beginn der zweiten grossen Reise sein.
Allerdings kannst Du auch ängstlich in der Beziehung verharren und ihr arrangiert euch mit den gegebenen Umständen und Sachzwängen und verweigert euch eurer Liebe und Wahrheit.

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Der zweite Frühling:

Falls Du dich auf die zweite grosse Reise begeben hast, ist es gut möglich, dass ihr euch aus euren gewohnten Beziehungssumpf befreien konntet und euch respektvoll und wohlwollend wie Abenteurer, die eine gefährliche Herausforderung gemeistert haben, in die Augen seht.

Auf diesem Weg wirst Du die gewohnte Haut deiner Konditionierung abstreifen und viele vermeintliche Sicherheiten in Frage stellen.

Erwarte während diesem Entwicklungsschritt keine schnellen Lösungen, denn dies kann ein langer, und teilweise schmerzhafter Prozess sein.

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Allein sein – die autistische Phase

Wie sollen wir uns allein erkennen?

Das ICH braucht einen Spiegel, und dieser Spiegel wird immer ein anderer sein. Über diesen Spiegel lernen wir, ein kollektives Wesen zu werden – durch Reflektion werden wir Teil einer Gemeinschaft.
In der autistischen Phase haben wir klare ICH-Grenzen und fühlen uns weitgehend als autonomes Individuum. Wir sind uns wichtiger als andere.

Dennoch kann es bereits hier Verwicklungen geben: Zum Beispiel könnten wir mit unseren Eltern eine Art Ersatzbeziehung führen und uns für ihr Wohlbefinden verantwortlich fühlen. Es ist auch möglich, dass wir mit guten, andersgeschlechtlichen Freunden längere, mehr oder weniger platonische Kontakte pflegen.
Falls das so ist, sollten wir nachdenklich werden.
Wir haben zwar noch keine Partnerschaft, aber sollte sich eine ergeben, wird dies keine reine Zweierbeziehung sein; wir werden einen Dritten oder Vierten einbringen. Dieser könnte langfristig zu einem unerwünschten Gast werden, an dem sich später Konflikte entzünden.

Jetzt kommt es darauf an, wie transparent wir mit diesen Beziehungen umgehen. Die Form der Kontakte, ob platonisch, emotional oder sexuell, spielt dabei keine Rolle, sondern nur, ob alle daran Beteiligten mit sich selbst, und ihrem Umfeld, wahrhaftig sind.

Eine andere Möglichkeit ist, die autistische Phase und das Alleinsein nicht als vorübergehenden Zustand zu betrachten, sondern zu einem Dogma zu machen – zu einem Bekenntnis, das einige als freie Liebe bezeichnen, aber in dieser Phase nichts anderes als Bindungsangst und Flucht vor Nähe darstellt – vor den Dingen, die sich nur innerhalb
einer Partnerschaft entfalten.
Auch gemäß der Volksweisheit: „Drum prüfe, wer sich bindet, ob sich noch was Besseres findet“, können wir sehr lange in der autistischen Phase verharren.

Häufig ist die autistische Phase aber eine Beziehungspause nach einer Trennung – ein Raum zum Trauern und zum persönlichen Wachstum mit uns selbst – eine Zeit der
Selbstverwirklichung, die wir im Beziehungsalltag zur Seite legten.
In jedem Fall ist diese Stufe vom ICH dominiert: Es steht im Mittelpunkt, es sucht und es findet sich. Diese Suche ist allerdings nicht nur eine Innenschau, sondern richtet sich mit dem Andauern der autistischen Phase immer mehr nach außen.

Das ICH sucht einen Spiegel. 

Sich verlieben – die erste Reise

Haben wir erst einmal ein Objekt der Begierde erspäht, beginnen umgehend zwei Programme.
Das erste ist das biologische bzw. genetische Programm. Auf dieser sehr rudimentären Stufe strebt jedes Lebewesen nach Reproduktion. Dass wir uns dennoch nicht mit jedem paaren, ist zum großen Teil biologisch festgelegt.
Über nicht wahrnehmbare Geruchsstoffe, sogenannte Pheromone, über Geschmack und viele weitere Signale, die unbewusst ausgetauscht werden, sorgt die Natur dafür, dass sich nur die am besten zueinander passenden Genkombinationen anziehen.

Die zweite Ebene der Partnerwahl hat indes mit so desillusionierenden Dingen wie Geruch und Genetik nichts zu tun. Es ist die Ebene, die wir als romantisch empfinden.
Doch so schön die Romantik auch ist, sie entpuppt sich oft als Trugschluss – wir wiederholen zumeist nur alte Muster, in einer nicht enden wollenden Schleife.

Zwischen Neurotransmittern und alten Wunden

Was wir gerne als magische Momente deuten, ist häufig nichts anderes als ein aus unserer Biografie heraus getriebenes Bindungsmuster – eine Wiederholung.
Irgendein Teil unserer hochkomplexen Persönlichkeit sucht gerade nach einem Spiegel, und kaum glauben wir, ihn gefunden zu haben, spüren wir Schmetterlinge im Bauch.

Fakt ist, dass wenn wir uns verlieben, wir uns zuerst einmal in uns selbst verlieben: in unsere aktuelle Ausstrahlung und das beschwingte, träumerische Schlendern, mit dem wir die Blicke der Vorübergehenden einfangen und das uns fühlen lässt – uns gehört die Welt.

All das fühlt sich wie Magie an und tatsächlich sind wir in jenen Momenten die alleinigen Schöpfer unseres Universums. Allerdings nicht, weil uns Amors Pfeil getroffen hat oder wir einen Seelenverwandten trafen und nun auf der Welle eines niemals endenden Glücksgefühls reiten, sondern schlichtweg, weil wir unter Drogen stehen.

Dabei handelt es sich um ein wirkungsvolles Gemisch von Stoffen, die wir selbst produzieren: Oxytocin, Dopamin, Norepinephrin und andere. Unser Blut ist überschwemmt von ihnen. Gleichzeitig sinkt unser Serotoninspiegel, ähnlich wie bei Menschen, die an Zwangsstörungen leiden.

Es ist so wunderschön.

Ein Paar sein – die symbiotische Phase

Spätestens, wenn der Paarungsdruck von uns abgefallen ist, schwinden die magischen Klänge der Buschtrommel im Bauch und weichen einer immer stärker auf das Gegenüber bezogenen Fokussierung.
Nicht mehr wir erschaffen aus unserem magischen Liebesbewusstsein die Welt, nicht mehr uns gehorcht sie, sondern dem Partner.

Wie so oft beim Übergang vom Animistisch-Magischen zum Mythischen brauchen wir nun eine Instanz außerhalb unserer selbst – eine Person, zu der wir aufschauen können. Jemand, der fortan maßgeblich verantwortlich scheint für den Lauf der Welt und unser Glück.

Während wir das Verliebtsein anfangs noch selbst erzeugten, werden wir in dieser Phase zunehmend abhängiger. Nicht länger sind wir die Magier und Schöpfer unseres Universums, sondern diese Rolle verschiebt sich Schritt für Schritt zum anderen.
Plötzlich bestimmt nicht mehr unser innerer Zustand, wie die Schicksalssterne leuchten – sondern der Partner. So geraten wir allmählich in die Anfänge eines Abhängigkeitsgeflechts.

Zu Beginn ist dies nicht unangenehm, denn noch bemüht sich der Partner, uns alle Wünsche von den Augen abzulesen. Doch schon bald beginnt die Abhängigkeit zu wachsen.

Die Zeit der Projekte

Diese Abhängigkeit wird, solange wir mit gemeinsamen Projekten wie Kindern, Haus und Karriere beschäftigt sind, nicht unbedingt stören. Wir funktionieren als Team. Sexualität und Intimität mögen zwar kontinuierlich abnehmen, doch auch dies kommt vielen gelegen – war sie doch oft eine mit Stress und Leistungsdruck besetzte Angelegenheit.

Die Konfliktlinien verlaufen jetzt zwischen:

  • Besitzen wollen und der Angst wieder allein zu sein.
  • Sehnsucht nach Sicherheit aber auch Sehnsucht nach Freiheit.
  • Beharren auf den eigenen Positionen und Rechthaben wollen – es muss ein Richtig und Falsch geben.
  • Fülle und Mangel – und zwar sowohl emotional wie materiell.
  • Forderungen an den Partner und Verweigerungen des Partners diese Forderungen zu erfüllen.

All diese Konflikte entzünden sich höchstwahrscheinlich anfangs an Kleinigkeiten, bekommen aber mit der Zeit eine beziehungsbestimmende Dimension. Es kann sich anfühlen, als ginge es um Leben und Tod.

Der Beginn vom Ende der Symbiose

Beides scheint verloren: sowohl die Liebe als auch die Freiheit. Dennoch können sich beide nicht voneinander lösen. Zurück bleibt oft eine stille Unzufriedenheit – begleitet von der Hoffnung, dass vielleicht eine neue Begegnung, eine Affäre, wieder Leben und
Erfüllung bringen könnte.

Wir befinden uns an einer Weggabelung.

Der eine Pfad führt in eine feindlich-abhängige Beziehung – denn immer öfter weigert sich einer, die Bedürfnisse und Wünsche des anderen zu erfüllen.
Der andere Weg führt in eine verschmolzen-kuschelige Partnerschaft, in der wir eher Freunde als Mann und Frau sind.
Viele Paare können sich in dieser Situation nicht eindeutig für den einen oder anderen Weg entscheiden, sondern pendeln zwischen Streit, Versöhnung und Verzweiflung. Sie erschrecken über sich selbst und suchen verzweifelt nach Harmonie.

Doch das nächste Mal kommt bestimmt, denn es wird ein Wochenende oder Ferien geben. Konflikte lassen sich nicht unter den Teppich kehren. Zumeist wird es mit jedem Mal heftiger und verletzender werden.

Zurück zu sich selbst – die zweite Reise

Wir fühlen uns weder geliebt noch liebesfähig, der Partner sieht uns nicht mehr, und fast alles wächst uns über den Kopf.

Was viele dabei übersehen: Wir haben oft nicht den Partner oder die Partnerschaft verloren – sondern uns selbst.

Im Versuch, der Beziehung gerecht zu werden, haben wir Stück für Stück Teile von uns aufgegeben – Seiten, die uns ausmachen, lebendig und einzigartig machen. Wir haben uns angepasst: an den Partner, an die Familie, an Vorstellungen von Zukunft und einem harmonischen Miteinander.

Viele würden sagen, sie haben das gern getan. Und dass Kompromisse notwendig sind, um gemeinsam glücklich zu sein.
Das mag in manchen Fällen stimmen.

Doch eine Frage bleibt:
Kommt dieses Bild von Harmonie und Glück – diese Vorstellung einer idealen Partnerschaft oder Familie – wirklich aus uns selbst?

Oder haben wir es übernommen?

Alte Prägungen hinterfragen

Unsere Vorstellungen und Ideen kommen aus unserer Vergangenheit.

Vielleicht wollen wir, dass es unseren Kindern besser geht als uns. Vielleicht wollen wir um jeden Preis eine Scheidung verhindern, weil wir selbst Scheidungskinder sind. Vielleicht haben wir auch nie etwas anderes kennengelernt.

Die erste Herausforderung, vor der wir stehen, ist herauszufinden, woher wir unsere Ideen und Vorstellungen über Beziehungen haben, und dann zu erforschen, wer unsere Landkarten gemalt sowie unseren Kompass geeicht und beschriftet hat.

Die zweite Aufgabe besteht darin, zu überprüfen, ob unsere Karten und Instrumente geeignet sind uns aus dem Dschungel zu führen oder ob sie uns nicht tatsächlich immer mehr in die Irre leiten. Das ist ein anspruchsvoller Prozess bedeutet er doch herauszufinden, was unsere ureigene Wahrheit ist – unabhängig von Eltern, Schwiegereltern, Zeitschriften und Hochglanzmagazinen.

Es sind Fragen, an die wir uns häufig ein ganzes Leben lang nur annähern können, ohne umfassende Antworten zu bekommen: Wer bin ich? Was macht mich liebenswert? Was ist der Sinn des Ganzen?

Aber es geht ja auch nicht wirklich um Antworten, es geht um eine Entwicklung aus einer abhängigen Partnerschaft zu uns selbst.
Es geht darum die verlorenen Gefühle und die abhandengekommene Liebe in uns selbst wieder zu entdecken.

Denn nur, was in uns ist, können wir verschenken.

Der Sprung ins Unbekannte

Es ist einfacher, sich zu verlassen, als sich selbst zu finden. Dieses „Sich-Finden“ ist ein individueller Entwicklungsprozess – ein Weg, den man allein geht, wie Geburt und Tod.

Wer sich auf diese Reise begibt, trennt sich nicht in erster Linie vom Partner, sondern von den eigenen Vorstellungen, Urteilen, Illusionen und Sehnsüchten.

Diese innere Trennung ist oft herausfordernder als der Abschied von einem Menschen. Es ist kein Abbruch und keine Scheidung – vielmehr bleibt kein Stein auf dem anderen.

Der Phönix ist ein mythischer Vogel, der am Ende seines Lebenszyklus stirbt und verbrennt, um aus seiner Asche neu zu erstehen. Er wird der Wiedergeborene genannt.

Was eine Trennung und das Überwinden der Symbiose so schwer macht, ist das Nichtwissen darüber, was danach kommt.
Jene, die sich auf diesen Weg begeben, sterben in gewisser Weise allein. Sie wissen nicht, ob sie sich aus der Asche erheben und neu geboren werden. Sie wissen nicht, ob es ein Danach gibt.

Haben sie – wie eine Raupe, die sich in ihren Kokon spinnt – die Metamorphose durchlebt, werden sie zu Schmetterlingen. Dann sind sie frei, und das Raupenleben hat jede Anziehungskraft verloren.

Dieser Weg verlangt, das Nichtwissen auszuhalten – nicht nur während der Trennung, sondern ein Leben lang.
Alle gewohnten Sicherheiten werden in Frage gestellt – bis nur noch das bleibt, was wirklich trägt und die Seele nährt.

Die Trennung

Wenn du etwas liebst,
lass es los.
Wenn es zu dir zurückkommt,
gehört es dir.
Wenn es nicht zurückkommt,
hat es dir nie gehört.

Unbekannte Quelle, wird Konfuzius zugeschrieben

Sich trennen heisst Loslassen – nicht von Zuneigung oder Wohlwollen, sondern von der Vorstellung eines immerwährenden Einsseins.
Und selbst wenn die Partnerschaft längst unbequem geworden ist, halten viele fest: an der Illusion von Sicherheit, am Rechthaben, an alten Versprechen und gegenseitigen Forderungen – selbst wenn das Miteinander längst toxisch geworden ist.  

Es schmerzt, sich einzugestehen, dass die Erwartungen und romantischen Vorstellungen vom Beginn der Beziehung nicht Wirklichkeit geworden sind – und es vielleicht auch nie werden.

Auf dem Weg zum Erwachsenwerden ist eine Trennung dennoch unvermeidlich, denn es gilt zu realisieren, dass es nur Berührungspunkte, aber kein dauerhaftes All-Eins-Sein mit dem Partner, gibt. Dass es keine universellen Werte und fortdauernden Konsens oder Harmonie gibt, sondern nur einen ehrlichen und offenen Austausch.
Bei Kindern und anderen gemeinsamen Verpflichtungen gilt es in dieser Phase, Achtsamkeit zu üben und Respekt vor dem Anderssein des Partners zu entwickeln.

Es gilt zu lernen, dass es immer mehr als einen Weg gibt und nicht den einen richtigen Pfad. Dennoch ist es entscheidend, vor dem nächsten Schritt eine Trennung zu vollziehen – eine Trennung ohne jede Hoffnung, denn nur in einem wirklichen Feuer können alle Illusionen und Projektionen, alle Kindheitssehnsüchte und Beziehungsenttäuschungen verbrennen.

Ein Strohfeuer mag zwar hohe Flammen erzeugen, seine reinigende Kraft hält jedoch nur bis zur nächsten Wiederholungsschleife – mit dem gleichen oder einem neuen Partner.

Erwachsen werden in Beziehungen

Dazu gehört, anzuerkennen, dass die eigene Biografie lebensbestimmend ist und dass eine Partnerschaft nur eine Ergänzung der alltäglichen Herausforderungen sein kann.

Es bedeutet, anzunehmen, dass jede Beziehung ein Geschenk ist – ohne das Anrecht, irgendetwas zu bekommen oder zu besitzen. In der Liebe gibt es keine Garantien und keine Sicherheiten.

Die Verantwortung für den Saldo des eigenen Lebens trägt jeder selbst – ohne Wenn und Aber. Liebe, Mitgefühl und Güte sind Geschenke, keine Ansprüche. Zum Erwachsenwerden gehört es, die fordernde Opferhaltung hinter sich zu lassen, Abwehrmechanismen beiseite zu legen und Ängste klar zu benennen.

Am Ende steht die Erkenntnis: Niemand außer mir ist verantwortlich für mein Leben und meine Gefühle.

Es ist eine große Herausforderung und oft ein Balanceakt, an erster Stelle für sich selbst zu sorgen, ohne andere aus den Augen zu verlieren.

Diese innere Reise gleicht der Held:innenreise, dem sogenannten Monomythos. Sie folgt ihren eigenen Etappen, bis der Held oder die Heldin wieder in die gewohnte Welt zurückkehrt. Äußerlich mag sie unverändert wirken, doch der Blick darauf ist ein völlig neuer. Die Erfahrungen und Fähigkeiten, die auf dem Weg entstanden sind, haben alles verändert.

Und so wird er oder sie zwar zurückkehren – aber nie wieder ganz ein Teil der alten Welt sein.

Ein möglicher Zweiter Frühling

Haben wir die Held:innenreise angetreten und ihre Turbulenzen gemeistert, sind wir – zumindest zum Teil – bei uns selbst angekommen und auf einem guten Weg zum Erwachsenwerden.

Wir sind geläutert, und wie bei Kleinkindern ist in dieser Phase ein großer Teil unserer Omnipotenz verschwunden. Wir haben Demut gespürt und können nun beginnen, uns im Mitgefühl zu üben. Ebenso haben wir gelernt, uns selbst wichtiger zu nehmen als andere, ohne dabei rücksichtslos oder egoistisch zu werden. Wir erkennen, dass viele unserer Ideen und Vorstellungen weniger mit uns selbst zu tun haben, als wir ursprünglich dachten.

Wir sind gewachsen und gereift und haben uns auf diesem Weg die eine oder andere Narbe zugezogen. Noch wichtiger aber ist, dass wir uns diese Narben zeigen können – ohne Scham, ohne Schuldzuweisungen und ohne die Hoffnung, dass der Partner oder die Partnerin sie kosmetisch behebt.

Die Schönheit von Narben

Aus vielen Gesichtern wird das ewige Lächeln verschwunden sein, und es beginnt sich, das zu entwickeln was man gemeinhin Charisma nennt. Es ist ein Verbundensein mit sich selbst, mit seinen Wunden und Schmerzen, mit seiner Freude und seiner Lust, die man Menschen dieser Phase ansieht.

Der Dichter Khalil Gibran sagte darüber: „Gesichtszüge, welche die Geheimnisse unserer Seele enthüllen, verleihen einem Gesicht Schönheit und Anmut, selbst wenn diese seelischen Geheimnisse schmerzlich und leidvoll sind. Gesichter hingegen, die – Masken gleich – verschweigen, was in ihrem Innern vorgeht, entbehren jeglicher Schönheit, selbst wenn ihre äusseren Formen vollkommen symmetrisch und harmonisch sind.4

Der zweite Frühling gleicht einem Wiederaufflammen einer bereits abgeschriebenen Liebe. Dieses Wiederaufflammen hat jedoch mit dem sich Verlieben am Anfang der Reise nichts gemein.

Der Unterschied zum Anfang

Die autistische Phase ist geprägt von der Suche nach einem Partner, der einem möglichst viele Bedürfnisse erfüllt, für deren Eigenversorgung wir keine Verantwortung übernehmen wollen.

Im zweiten Frühling hingegen schauen wir mit Respekt auf den Partner: wir sehen ihn als den, der unsere Abnabelung und das Flüggewerden getragen und ertragen hat. Wir schauen auf einen Menschen, der bei uns blieb, obwohl vieles dagegensprach – wir schauen auf einen Menschen, der wahrlich unsere Achtung und unsere Geschenke verdient.

Heisst das mit dem aktuellen Partner unbedingt in einer Partnerschaft zu bleiben und weiterzugehen?

Nicht unbedingt, denn auf unserem Weg zu uns selbst haben wir möglicherweise auch andere Menschen kennengelernt.
Doch auf den Partner, der uns auf diesem Weg begleitete und unterstützte, werden wir – unabhängig von allen vorangegangenen Auseinandersetzungen – mit Respekt und Wohlwollen zurückblicken.

Die Liebe ist ein Kind der Freiheit – wohin sie führt, wissen wir nicht.

Hinter dem Horizont

Der Verstand ist machtlos
Angesichts der Liebe …5

(Rumi)

Unser Modell ist aus Beobachtungen und Erfahrungen in der klassischen Paarberatung entstanden.
Doch der Weg, den wir beschreiben, führt weit darüber hinaus.

Für viele Paare ist es bereits eine große Herausforderung, die Stufe des Zweiten Frühlings zu erreichen. Eine Trennung – mit all den damit verbundenen Ängsten und Ungewissheiten – schreckt ab. Es erscheint oft bequemer, in einer vorübergehenden Entspannung zu verharren, kleine Tabuzonen zu bewahren und nicht alles radikal zu hinterfragen.

Für das gewöhnliche Leben ist ein Zweiter Frühling bereits ein großer Schritt. Die Partner haben dafür mutige Entwicklungsschritte gewagt und nicht selten erhebliche Risiken auf sich genommen.

Doch die Reise geht weiter. Sie endet nie.

Die Perle – das SEIN, das Erwachen – liegt jenseits aller Paarberatung und gemeinsamer Entwicklung.

Liebe, Fülle und Harmonie sind an diesem Punkt keine Begriffe mehr, die den Zustand einer Beziehung – welcher Art auch immer – beschreiben könnten. Sie entziehen sich sämtlichen gesellschaftlichen Codes.
Sie sind allumfassend – und letztlich wortlos.

Dass wir hinter dem Horizont das Unaussprechliche entdecken durften, ist eine Gnade. Und was am Ende bleibt, ist ein tief empfundenes: Danke.

Hintergrund und Quellen

Unser Modell fußt auf der psychoanalytischen Objektbeziehungstheorie Melanie Kleins und wurde in den 1970er-Jahren durch die empirischen Forschungen von Margaret Mahler bestätigt. Ihre Erkenntnisse zur frühkindlichen Entwicklung übertrugen Ellyn Bader und Peter Pearson 1988 erstmals direkt auf Partnerschaften – in ihrem Buch In Quest of the Mythical Mate. Im selben Jahr veröffentlichte A. H. Almaas (The Pearl Beyond Price) eine spirituelle Weiterentwicklung dieses Ansatzes.

Wir haben die Grundlagen dieser Modelle aufgegriffen, weiterentwickelt und mit unseren eigenen Beobachtungen aus der Paarberatung verbunden.

In unseren Sitzungen arbeiten wir integrativ: mit einem systemischen Blick (Virginia Satir), Elementen aus der Transaktionsanalyse (Eric Berne), der Gestalttherapie (Fritz Perls), der Arbeit mit dem inneren Kind (John Bradshaw), De-Hypnose (Stephen Wolinsky) und traumatherapeutischen Ansätzen.

Dazu kommen Erfahrungen vieler anderer therapeutischer und spiritueller Richtungen, die wir auf unserer Reise sammeln durften; und unser ganz persönlicher Weg.