Erwachte Beziehungen

Ein leeres Blatt kennt kein Trauma, kein Drama und keine Hochgefühle.
Es unterscheidet nicht zwischen Täter und Opfer, Handelndem und Duldendem.
Die Klarheit, die sich auf diesem weissen Blatt entfaltet, fragt nicht nach Sinn oder Zweck.
Sie ist einfach – Liebe und Mitgefühl.

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Portrait von Rainer Grunert in der Natur, sein Blick schweift in die Ferne

Jede Beziehung – ob zu Partnern, Eltern, Kindern oder Freunden – kann das eigene Aufwachen unterstützen. Oft ist es sogar hilfreich, einen Menschen an der Seite zu haben, der meine Eigenheiten, Trigger und Abwehrmechanismen kennt und mir spiegelt.

Ich bin all den Menschen in meinem Umfeld dankbar, die mir auf meinem Weg des Wachstums und Erwachens immer wieder die Tricks meines Egos vor Augen geführt haben – manchmal liebevoll, manchmal schmerzhaft, aber immer wahrhaftig.

In dieser tabulosen, klaren Wahrheit liegt der Schlüssel jeder erwachten Beziehung.

Wahrheit oder Tabu?

Klassische Beziehungen bestehen meist aus Abhängigkeiten: Kinder brauchen ihre Eltern, und auch Partnerschaften oder Freundschaften sind oft vom nachvollziehbaren Wunsch geprägt, nicht allein durchs Leben gehen zu müssen.

Diese Abhängigkeiten entstehen gegenseitig und bringen unzählige – oft unausgesprochene – Abmachungen mit sich. Die meisten werden als selbstverständlich angesehen. Erst wenn das Unausgesprochene oder das Tabu aus den gut verschlossenen Verliesen ans Licht drängt, entstehen Irritationen.

Doch wie sollen Menschen, die selbst in Verwicklungen gefangen sind, einander wirklich aufrichtige Spiegel sein?

Es geht nicht.

Voraussetzung für eine Beziehung, die Aufwachen unterstützt, ist die Bereitschaft, sich selbst und den anderen ehrlich zu konfrontieren – und so das gemeinsame Wachstum zu ermöglichen.

Der Unterschied zwischen Spiegeln und Wollen

Zumeist möchte ich etwas von meinem Gegenüber: gesehen und verstanden werden, Anerkennung, Unterstützung, Sicherheit, Liebe oder Sex. Dieses Wollen – das Gefühl, etwas zu brauchen – verpacke ich je nach Fähigkeiten und Stimmung in Forderungen, Verführungen oder subtile Manipulationen.

Mit Wahrheit hat das wenig zu tun. Es ist vielmehr eine – mal charmante, mal unverhohlene – Aufforderung zur Befriedigung meiner Bedürfnisse.

Konfrontation oder Spiegelung dagegen sind unabhängig von meiner Bedürftigkeit und den Irrwegen meines Egos. Sie sind ein Geschenk an den anderen. Bin ich dabei achtsam und mitfühlend, braucht es keinen Schutzmantel – denn Wahrheit entfaltet sich von selbst.

Genauso wichtig wie eine gefühlte Wahrheit auszusprechen, ist die Fähigkeit des Gegenübers, solche Hinweise, Kritik oder Zuwendung anzunehmen, ohne sich gekränkt zu fühlen oder in neue Illusionen zu flüchten.

Der Schlüssel liegt im Mitgefühl

Beides setzt Mitgefühl voraus – Mitgefühl mit dem anderen und Mitgefühl mit mir selbst.

Jede Beziehung hat ihre Geschichte von Illusionen, Projektionen und Verletzungen. Oft braucht es eine Trennung, um das Alte hinter sich zu lassen – das, was sich nicht nur in die Erinnerung eingebrannt hat, sondern unzählige Identitäten erschaffen hat.

Es ist keineswegs einfach, aus dem Erlebten ein weisses Blatt zu machen.
Das Erlebte verschwindet nicht – es ist geschehen. Was jedoch transformiert werden kann, ist die wertende Interpretation.

Alles, was geschehen ist – ob erfüllend oder verletzend, ob bestärkend oder kränkend –, hat mich genau zu der Person gemacht, die ich heute bin.
Nur diese Person kann erwachen.

Alles andere sind Identitäten in einer Scheinwelt, Figuren auf einem kosmischen Spielfeld, das sie verstehen wollen und doch nie wirklich erkennen werden.
Das Gewebe, in dem alles miteinander verflochten ist, übersteigt jeden Verstand. Es kann nur demütig erfühlt und angenommen werden.

Das weisse Blatt – oder der leere Raum – kennt kein Trauma, kein Drama und keine Hochgefühle.
Es unterscheidet nicht zwischen Täter oder Opfer, Handelndem oder Duldendem.

Die Klarheit, die sich auf diesem weissen Blatt entfaltet, fragt nicht nach Sinn oder Zweck.
Sie ist Liebe und Mitgefühl.

Das Geschenk einer erwachten Beziehung

Das Geschenk meiner erwachten Beziehung ist, einen Menschen getroffen zu haben, der mich immer wieder daran erinnert: der keine Rücksicht nimmt auf meine alltäglichen Verwicklungen, der allumfassende Liebe, sowie schmerzhafte Klarheit miteinander verbindet – und das gleiche von mir erwartet.

Das bleibt herausfordernd. Aber es hält mich lebendig und bewahrt mich in melancholischen Momenten davor, im blubbernden Sumpf falscher Harmonie zu versinken.

Bist Du bereit, dich deinen Partnern und Freunden, deinen Kindern und Eltern mit deiner Wahrheit zu zeigen?

Bist Du bereit, alles zu riskieren und den Morast der Alltagslügen hinter Dir zulassen? 

Schläfst Du noch, oder liebst Du schon?