Ein Modell für Beziehungen und Partnerschaft

Liebe ist das Kind der Freiheit,
niemals das der Beherrschung.

Erich Fromm

Ach, wäre das schön – es wäre das Ende aller Sehnsucht.
Doch schon an den Wörtern scheiden sich die Geister.
Was ist Liebe? Was ist Freiheit?
Wo beginnt das eine, wo endet das andere?

Aus welchem Blickwinkel schauen wir auf Liebe und Freiheit: aus einem egoistischen, aus einem streng moralischem oder aus einem libertärem?

Eines ist jedoch sicher: Die Perspektive, aus welcher wir auf diese scheinbar einfachen Begriffe blicken, ist geprägt von unserer Biografie und Kultur. Und da jeder anders aufgewachsen ist und sich unterschiedlich entwickelt hat, wird das gemeinsame Verständnis immer nur eine Annäherung sein.

Anzuerkennen wie unterschiedlich die Welt für jeden Einzelnen beschaffen ist, ist die Reise jeder Beziehung.

Jede zwischenmenschliche Begegnung kann uns helfen, die eigene Geschichte und damit uns selbst im Spiegel Anderer zu erkennen.

Allerdings beginnen hier auch die Konflikte, denn was für den einen richtig und selbstverständlich ist, kann der andere befremdlich oder gar bedrohlich finden. Um die Differenzen nicht eskalieren zu lassen, suchen die meisten Menschen nach der einen Wahrheit: im Kulturellen, bei Freunden, in dem was normal und üblich scheint und in allerlei Ratgeberliteratur. Eventuell machen beide auch eine Paarberatung in der Erwartung, dass es eine höhere Instanz gibt, die den einen „richtigen“ Weg kennt und den von den eigenen Vorstellungen abweichenden Anderen zur Einsicht bringt.

Doch das funktioniert nicht, denn schließlich gibt es keine für immer und alle gültige Wahrheit.

Auch wenn wir uns nach Sicherheit und Struktur sehnen; da Liebe das Kind der Freiheit ist, wird sie in einer auch noch so kleinen Regeldiktatur verwelken.

Aber eine Welt ohne jede Regel funktioniert nicht – da macht doch jeder was er will!

Stimmt. Und genau deshalb braucht es Respekt, Achtsamkeit und Kompromisse.

Respekt meint, Respekt vor jeder anderen Sicht auf die Welt. Auch wenn ich sie nicht teile, oder sie mir sogar abgrundtief zuwider ist. Werte sind durch Konditionierungen und Biografien bedingt – auch meine, so gut sie für mich scheinen, so unangemessen könnten sie für andere sein: der Weg in die Hölle ist mit guten Absichten gepflastert.

Achtsamkeit bedeutet Rücksicht auf die mögliche Interpretation meiner Handlungen durch den jeweils anderen zu nehmen: Was für mich selbstverständlich ist, kann für einen anderen Übergriffigkeit oder gar Grausamkeit bedeuten. Achtsamkeit bedeutet dabei aber nicht, dass ich mich zurücknehme und verrate, sondern im Miteinander immer auch den anderen „sehe“.

Kompromisse meint keine Regeln, sondern temporäre Verabredungen, die ein Miteinander mehrerer Menschen möglich machen – aufrichtig und ausgesprochen. Kompromisse sollten dabei nicht aus Angst, sondern vor allem aus Mitgefühl geschlossen werden.

Es kann kein generisches Modell oder Regeln für Beziehungen geben – die Welt ist vielfarbig und die Wahrnehmung eines jeden Menschen ist anders. Auch sind Paar- bzw. Beziehungsberater keine Wissenden oder Richter.

Was es aber gibt, ist ein Modell, über die vielen Irrwege, Missverständnisse, aber auch das Magische auf dem Weg zur Selbsterkenntnis und persönlicher Reife.

Das ist nicht mehr als eine grobe Anleitung für den Beziehungsdschungel: Es ist keine Landkarte, sondern eher eine Positionsbestimmung mit Hinweisen, welche neuen Perspektiven, aber auch Gefahren auf Sie warten.

Der Start – Allein sein:

Der Mensch sucht einen Spiegel oder kann wie die meisten schlichtweg nicht allein sein.
Sie lernen einen Menschen kennen, mit dem Sie die Reise antreten wollen und es scheint, dass dieser Mensch alles hat, wonach sich Ihr Herz verzehrt.
Das zieht sie magisch an.

Sich verlieben:

Sie entscheiden sich, sich weiter zu öffnen und begeben sich auf die erste grosse Reise. Oder aber Sie zögern: Ist er, ist sie es wirklich? Wollen Sie sich gemeinsam auf den Weg machen oder wartet um die Ecke etwas Besseres?
Und wie sieht es mit den ersten Kompromissen aus?
Haben Sie beide ähnliche Vorstellungen von einer Beziehung – Treue, Kinder, Karriere?

Ein Paar sein:

Sie sind unterwegs und jeder hat seine Projekte und Verantwortlichkeiten (Kinder, Karriere, persönliche Entwicklung, etc.). Anfangs läuft es richtig gut – sie scheinen das perfekte Team, aber ganz langsam gehen Mann und Frau verloren. Sie sind nur noch Team und etwas in Ihnen beginnt zu verhungern. Vielleicht stellen Sie fest, Sie können immer weniger miteinander reden, aber auch nicht ohne den anderen leben.
Sie sind in eine merkwürdige Abhängigkeit geraten, vielleicht haben Sie auch schon eine Affäre und denken ans Ausbrechen.
Aber wohin?

Zurück zu sich selbst:

Sie beginnen sich selbst wieder wichtiger als die Partnerschaft zu nehmen und schaffen es die Beziehungsbase zu verlassen. Vielleicht reisen sie einige Tage einmal allein bzw. gehen unterschiedliche Wege.
Dies kann der Beginn der zweiten grossen Reise sein.
Sie können allerdings auch ängstlich im Beziehungsdschungel verharren und sich gegenseitig beim Verhungern zuschauen.

 Der zweite Frühling:

Falls Sie sich auf die zweite grosse Reise begaben, ist es gut möglich, dass sie sich aus dem Beziehungsdschungel befreien konnten und sich respektvoll und wohlwollend wie Abenteurer, die eine gefährliche Herausforderung gemeistert haben in die Augen sehen.
Auf diesem Weg werden sie die gewohnte Haut ihrer Konditionierung abstreifen und viele vermeintlichen Sicherheiten in Frage stellen.
Erwarten Sie während diesem Entwicklungsschritt daher keine schnellen Lösungen, denn dies kann ein langer, und teilweise schmerzhafter Prozess sein.

Allein sein – die autistische Phase

Wie sollen wir uns allein Erkennen?

Das Ich braucht einen Spiegel und dieser Spiegel wird immer ein Anderer sein.

Über diesen Spiegel lernen wir ein kollektives Wesen zu werden – über Reflektion werden wir Teil einer Gemeinschaft.

In der autistischen Phase haben wir klare ICH-Grenzen und fühlen uns weitgehendst als autonomes Individuum. Wir sind uns wichtiger als andere.

Dennoch kann es bereits hier Verwicklungen geben: Zum Beispiel könnten wir mit unseren Eltern eine Art Ersatzbeziehungen führen und uns für ihr Wohlbefinden verantwortlich fühlen. Auch ist möglich, dass wir mit guten andersgeschlechtlichen „Freunden“ längere, mehr oder weniger platonische Kontakte pflegen. Falls das so ist, sollten wir nachdenklich werden. Wir haben zwar noch keine Partnerschaft, aber sollte sich eine ergeben, so wird dies keine Zweierbeziehung sein, sondern wir werden einen Dritten bzw. Vierten einbringen. Der wird längerfristig in vielen Fällen zu einem unerwünschten Gast werden, an dem sich zu einem späteren Zeitpunkt Konflikte entzünden können.

Eine andere Möglichkeit ist, die autistische Phase und das Alleinsein nicht als einen vorübergehenden Zustand zu betrachten, sondern zu einem Dogma zu machen. Zu einem Bekenntnis, das einige „freie Liebe“ nennen, aber auf dieser Stufe nichts anderes als Bindungsangst und eine Flucht vor Nähe ist – vor den Dingen, die sich nur innerhalb einer Partnerschaft entfalten.

Auch können wir gemäss der Volksweisheit: „Drum prüfe, wer sich bindet, ob sich noch was Besseres findet.“  sehr lange in der autistischen Phase verharren.

Häufig ist die autistische Phase auch eine Beziehungspause nach einer Trennung. Ein Raum zum Trauern, aber auch zum persönlichen Wachstum mit uns selbst – eine Zeit der Selbstverwirklichung, die wir im Beziehungsalltag zur Seite legten.

In jedem Fall ist diese Stufe vom ICH dominiert: es steht im Mittelpunkt, es findet sich und es sucht.

Diese Suche ist allerdings nicht nur eine Innenschau, sondern richtet sich, mit dem Andauern der autistischen Phase, immer mehr nach außen.

Das ICH sucht einen Spiegel.

 

Sich verlieben – die erste Reise

Haben wir erst einmal ein Objekt der Begierde erspäht, laufen umgehend zwei Programme ab.

Das erste ist das biologische bzw. genetische Programm. Auf dieser sehr rudimentären Stufe strebt jedes Lebewesen nach Reproduktion. Dass wir uns dennoch nicht mit Jedem paaren, ist zum grossen Teil biologisch festgelegt. Über nicht wahrnehmbare Geruchsstoffe, sogenannte Pheromone, über Geschmack und viele weitere Signale, die unbewusst ausgetauscht werden, sorgt die Natur dafür, dass sich nur die am besten zueinanderpassenden Genkombinationen anziehen.

Die zweite Ebene der Partnerwahl hat indes mit so desillusionierenden Dingen wie Geruch und Genetik nichts zu tun. Es ist die Ebene, die wir als romantisch empfinden. Doch so schön die Romantik ist, sie ist ein Trugschluss.

Was wir gerne als magische Momente deuten, ist nämlich häufig nichts anderes als ein aus unserer Biografie heraus getriebenes Bindungsmuster – eine Wiederholung.

Irgendein Teil unserer hochkomplexen Persönlichkeit sucht gerade nach einem Spiegel und kaum glauben wir ihn gefunden zu haben, spüren wir Schmetterlinge im Bauch.

Fakt ist, dass wenn wir uns verlieben, wir uns zuerst einmal in uns selbst verlieben: in unsere aktuelle Ausstrahlung und ein beschwingtes träumerisches Schlendern, mit dem wir die Blicke Vorübergehender einfangen und das uns fühlen lässt: Uns gehört die Welt.

All das fühlt sich wie Magie an und tatsächlich sind wir in jenen Momenten die alleinigen Schöpfer unseres Universums. Allerdings nicht, weil uns Amors Pfeil getroffen hat oder wir einen Seelenverwandten trafen und nun auf der Welle eines niemals endenden Glücksgefühls reiten, sondern schlichtweg, weil wir beschwipst sind – weil wir unter Drogen stehen.

Die haben wir aber weder auf dem Balkon gezüchtet noch bei einem zwielichtigen Strassendealer erworbenen – vielmehr handelt es sich um ein wirkungsvolles Gemisch von Stoffen, welche wir selbst produzieren: Dopamin, Norepinephrin und andere. Unser Blut ist überschwemmt von ihnen. Gleichzeitig sinkt, unser Serotoninspiegel, ähnlich wie bei Menschen, die an Zwangsstörungen leiden.

Es ist so wunderschön.

 

Ein Paar sein – die symbiotische Phase

Spätestens, wenn der Paarungsdruck von uns abgefallen ist, schwinden auch die magischen Klänge der Buschtrommel im Bauch und weichen einer immer mehr auf den Partner bezogenen Fokussierung.

Nicht mehr wir erschaffen aus unserem magischen Liebesbewusstsein die Welt, nicht mehr uns gehorcht sie, sondern dem Partner. Und wie immer beim Übergang vom Animistisch-Magischen zum Mythischen brauchen wir von nun an einen Gott ausserhalb unserer selbst. Eine Person, zu der wir aufschauen können und die von nun an für den Gang der Welt verantwortlich ist.

Generierten wir das Verliebtsein noch weitgehend selbst, werden wir in dieser Phase immer abhängiger vom Partner. Nicht mehr wir erzeugen unsere Glücksgefühle, nicht wir sind die Magier und Schöpfer unseres Universums, sondern diese Rolle verschiebt sich kontinuierlich zum Gegenüber. Immer mehr machen wir seinen Charme, seinen Umgang, wie er uns anschaut und berührt, für unser Wohlbefinden verantwortlich.

Nicht mehr wir selbst, sondern der Partner bestimmt, wie die Schicksalssterne leuchten und plötzlich finden wir uns in den Anfängen eines Abhängigkeitsgeflechts wieder. Am Anfang ist dies nicht unangenehm, denn noch bemüht sich der Partner uns alle Wünsche von den Augen abzulesen. Und doch beginnt die Abhängigkeit zu wachsen.

Diese Abhängigkeit wird solange wir mit gemeinsamen Projekten wie Kindern, Haus, Karriere u.a. beschäftigt sind nicht unbedingt stören. Wir funktionieren als Team. Intimität wird zwar kontinuierlich abnehmen, aber auch dies kommt vielen gelegen – war sie doch oftmals eine mit Stress und Leistungsdruck besetzte Angelegenheit.

Die Konfliktlinien verlaufen jetzt zwischen:

Besitzen wollen und der Angst wieder allein zu sein.
Sehnsucht nach Sicherheit aber auch Sehnsucht nach Freiheit.
Beharren auf den eigenen Positionen und Rechthaben wollen – es muss ein Richtig und Falsch geben.
Fülle und Mangel – und zwar sowohl emotional wie materiell.
Forderungen an den Partner und Verweigerungen des Partners diese Forderungen zu erfüllen.

All diese Konflikte entzünden sich höchstwahrscheinlich Anfangs an Kleinigkeiten, bekommen aber mit der Zeit eine beziehungsbestimmende Dimension. Es kann sich anfühlen, als ginge es um Leben und Tod.

Beides scheint verloren, sowohl Liebe wie Freiheit und dennoch können oftmals beide nicht voneinander lassen. Was häufig bleibt ist die Hoffnung auf eine rettende Affäre und zunehmende Bitterkeit.

Wir sind auf der Reise Partnerschaft an einer Weggabelung.

Der eine Pfad führt in Richtung einer feindlich abhängigen Beziehung – denn immer öfter weigert sich einer die Bedürfnisse und Wünsche des anderen zu erfüllen.

Der andere Weg führt in eine verschmolzen kuschelige Partnerschaft, in der wir eher Freunde wie Mann und Frau sind.

Viele Paare können sich in dieser Situation nicht eindeutig für den einen oder anderen Weg entscheiden, sondern pendeln zwischen Streit, Versöhnung und Verzweiflung. Sie erschrecken über sich selbst und suchen verzweifelt nach Harmonie.

Doch das „nächste Mal“ kommt bestimmt, denn es wird einen Sonntag oder Ferien geben. Konflikte lassen sich nicht unter den Teppich kehren. Zumeist wird es mit jedem Mal heftiger und verletzender werden.

 

Zurück zu sich selbst – die zweite Reise

In verzweifelten Momenten denken wir, dass wir alles verloren haben: wir fühlen uns weder geliebt noch liebesfähig, der Partner sieht uns nicht mehr und nahezu alles wächst uns über den Kopf.

Was jedoch die meisten übersehen ist, dass wir weder den Partner noch die Partnerschaft verloren haben, sondern nur uns selbst.

Im Bemühen um den Partner haben wir viele Teile von uns, dass was uns wirklich ausmacht, in den vorangegangenen Phasen aufgegeben. Wir haben es für den Partner, für die Familie, für die Zukunft, für unser Bild eines harmonischen Zusammenlebens geopfert. Jetzt werden viele sagen, dass habe ich gerne getan und dass man Kompromisse machen muss, um glücklich zu sein. Alles richtig, aber dieses Bild – dieses Bild einer harmonisch glücklichen Familie – ist das wirklich Ihr Bild?

Woher kommt dieses Bild?

Unsere Vorstellungen und Ideen kommen aus unserer Vergangenheit. Vielleicht wollen wir, dass es unseren Kindern besser geht als es uns erging. Vielleicht wollen wir um jeden Preis eine Scheidung verhindern, weil wir selbst Scheidungskinder sind. Vielleicht haben wir auch nie etwas anderes kennengelernt.

Die erste Herausforderung, vor der wir stehen ist herauszufinden woher wir unsere Ideen und Vorstellungen über Beziehungen haben, zu erforschen wer unsere Landkarten gemalt und unseren Kompass geeicht und beschriftet hat?

Die zweite Aufgabe besteht darin zu überprüfen, ob unsere Karten und Instrumente geeignet sind uns aus dem Dschungel zu führen oder ob sie uns nicht tatsächlich immer mehr in die Irre leiten. Das ist ein anspruchsvoller Prozess bedeutet er doch herauszufinden was unsere ureigene Wahrheit ist – unabhängig von Eltern, Schwiegereltern, Zeitschriften und Hochglanz­magazinen.

Es sind Fragen, an die wir uns häufig ein ganzes Leben lang nur annähern können, ohne umfassende Antworten zu bekommen: Wer bin ich? Was macht mich liebenswert? Was ist der Sinn des Ganzen?

Aber es geht ja auch nicht wirklich um Antworten, es geht um eine Entwicklung aus einer abhängigen Partnerschaft zu uns selbst.

Es geht darum die verlorenen Gefühle und die abhandengekommene Liebe in uns selbst wieder zu entdecken.

Denn nur was in uns ist können wir verschenken.

Drei Stufen auf dem Weg zu sich selbst

Es ist einfacher sich zu verlassen als sich zu finden: Das „sich finden“ ist ein individueller Entwicklungsprozess – ein Weg, den man allein geht – wie Geburt und Tod.

Neue Partner oder Expartner können wohlwollend zuhören, sie können Anstösse geben, aber sie können nicht helfen.

Wer sich auf diese Reise begibt trennt sich – und zwar nicht vom Partner, sondern von seinen Vorstellungen, von seinen Urteilen, von seinen Illusionen und von seinen Sehnsüchten.

Diese Trennung ist herausfordernder als die von einem Menschen. Es ist kein Abbruch und auch keine Scheidung – vielmehr bleibt kein Stein auf dem anderen. Alle Gewohnheiten und vermeintlichen Gewissheiten werden hinterfragt und das krankmachend Verletzende und Lähmende werden abgeschnitten.

Die Trennung

Wenn du etwas liebst,
lass es los.
Wenn es zu dir zurückkommt,
gehört es dir.
Wenn es nicht zurückkommt,
hat es dir nie gehört.

(Angelehnt an Konfuzius)

Sich trennen heißt Loslassen, nicht von Zuneigung oder Wohlwollen, sondern der Vorstellung eines immerwährenden Einsseins. Und auch, wenn die Partnerschaft bereits unbequem geworden ist, wollen viele im toxischen Ambiente von Rechthaben, vermeintlichen Sicherheiten und Forderungen verharren.

Anzuerkennen, dass sich die Erwartungen und Illusionen vom Beginn der Beziehung nie erfüllen werden, schmerzt zu sehr.

Eine Trennung ist daher unvermeidlich, denn es gilt anzunehmen, dass es nur Berührungspunkte aber kein dauerhaftes All-Eins-Sein mit dem Partner gibt. Dass es keine universellen Werte und fortdauernden Konsens oder Harmonie gibt, sondern nur einen klaren und offenen Austausch. Dass alles Unausgesprochene eine Sprache finden muss.

Bei Kindern und anderen gemeinsamen Verpflichtungen gilt es in dieser Phase Achtsamkeit zu üben und Respekt vor dem Anderssein des Partners zu entwickeln. Es gilt zu lernen, dass es immer mehr als einen Weg und nicht den einen richtigen Pfad gibt.

Das Lernen

Lernen bedeutet vor allem, sich selbst kennenzulernen und die eigenen Unzulänglichkeiten zu reflektieren.

Dazu gehört, anzuerkennen, dass die eigene Biografie lebensbestimmend ist und eine Partnerschaft nur eine Ergänzung sein kann.

Es bedeutet anzunehmen, dass jede Beziehung ein Geschenk ist, ohne ein Anrecht irgendetwas zu bekommen oder zu besitzen und, dass es in der Liebe keine Garantien oder Versicherungen gibt.

Die Verantwortung für den Saldo seines Lebens trägt jeder selbst – ohne wenn und aber. Liebe, Mitgefühl, Güte und Wärme sind Geschenke – sie sind nicht einklagbar.

Auch das gehört zum Erwachsenwerden: aus einer Opferhaltung herauszukommen, Abwehrmechanismen zur Seite zu legen und Ängste zu benennen.

Am Ende steht die Erkenntnis: Niemand ausser mir ist für mein Leben und meine Gefühle verantwortlich.

Es ist eine grosse Herausforderung und oftmals ein Balanceakt an erster Stelle für sich selbst und zu sorgen, ohne Andere aus den Augen zu verlieren.

Ein möglicher Zweiter Frühling

Haben wir die Turbulenzen der zweiten grossen Reise gemeistert und sind wir, zumindest zu einem Teil, bei uns angekommen und auf einem guten Weg zum Erwachsenwerden. Wir sollten gelernt haben, uns wichtiger als andere zu nehmen, ohne dabei rücksichtslos und egoistisch zu sein. Ebenfalls sollten wir erkannt haben, dass viele unserer Ideen und Vorstellungen weniger mit uns selbst zu tun haben als wir glauben.

Wir sind gewachsen und gereift und haben uns bei diesem Prozess die eine oder andere Narbe zugezogen. Noch entscheidender aber ist, dass wir uns die Narben zeigen können ohne Scham und Schuldzuweisungen und ohne die Hoffnung, dass der Partner an ihnen eine kosmetische Operation vornimmt. Aus vielen Gesichtern wird das ewige Lächeln verschwunden sein und es beginnt sich, was man gemeinhin Charisma nennt, zu entwickeln. Es ist ein Verbundensein mit sich selbst, mit seinen Wunden und Schmerzen, mit seiner Freude und seiner Lust, die man Menschen dieser Phase ansieht.

Der Dichter Khalil Gibran sagte darüber: „Gesichtszüge, welche die Geheimnisse unserer Seele enthüllen, verleihen einem Gesicht Schönheit und Anmut, selbst wenn diese seelischen Geheimnisse schmerzlich und leidvoll sind. Gesichter hingegen, die – Masken gleich – verschweigen, was in ihrem Innern vorgeht, entbehren jeglicher Schönheit, selbst wenn ihre äußeren Formen vollkommen symmetrisch und harmonisch sind.“

Der zweite Frühling gleicht einem Wiederaufflammen einer bereits abgeschriebenen Liebe. Dieses Wiederaufflammen hat jedoch mit dem sich Verlieben am Anfang der Reise nichts gemein.

Die autistische Phase ist geprägt von der Suche nach einem Partner, der einem möglichst viele Bedürfnisse erfüllt, für deren Eigenversorgung wir keine Verantwortung übernehmen wollen.

Im zweiten Frühling hingegen schauen wir mit Respekt auf den Partner: wir sehen ihn als den, der unsere Abnabelung und das Flüggewerden getragen und ertragen hat. Wir schauen auf einen Menschen, der bei uns blieb, obwohl vieles dagegensprach – wir schauen auf einen Menschen, der wahrlich unsere Achtung und unsere Geschenke verdient.

Heißt das mit dem aktuellen Partner unbedingt in einer Partnerschaft zu bleiben und weiterzugehen?

Nicht unbedingt, denn vielleicht haben wir auf unserem Weg zu uns selbst andere Menschen kennengelernt. Auf den Partner, der uns auf diesem Weg begleitete und beistand, werden wir jedoch höchstwahrscheinlich und unabhängig aller vorangegangenen Auseinandersetzungen, mit Freundlichkeit, Respekt und Wohlwollen schauen.

Die Liebe ist ein Kind der Freiheit – wohin sie führt wissen wir nicht.

Ankommen – Zu Hause sein

Der Verstand ist machtlos
Angesichts der Liebe …

Rumi

Liebe ist ein Geschenk und ich gebe es, unabhängig ob es angenommen wird.

Respekt ist ein Geschenk und ich gebe ihn jedem Wesen.

Toleranz ist ein Geschenk und ich weiß, dass es neben meiner kleinen Welt viele andere Welten gibt – ich weiss, dass es kein richtig oder falsch gibt.

Achtsamkeit ist ein Geschenk, denn ich weiss aus eigener Erfahrung wie verletzlich Menschen sind.

All meine Geschenke gebe ich freiwillig – niemand hat ein Recht auf sie und sie können nicht verrechnet werden.

Hintergrund und Quellen

Dieses Modell ist aus der psychoanalytischen Objektbeziehungstheorie Melanie Kleins abgeleitet. Margaret Mahler bestätigte es durch viele empirische Untersuchungen in den 70er Jahren. Eine direkte Umsetzung Margaret Mahlers Entwicklungsmodell von Kindern auf Partnerschaften wurde erstmal 1988 von den amerikanischen Therapeuten Ellyn Bader und Peter Pearson in ihrem Buch „In Quest of the Mythical Mate“ beschrieben. Im gleichen Jahr veröffentlichte der amerikanische Psychotherapeut und Sufi A. Hameed Ali unter dem Pseudonym A. H. Almaas sein Buch „The Pearl Beyond Price“, in welchem er die Objektbeziehungstheorie auf die verschiedenen Schritte spirituellen Wachstums anwendet.

In der Paarberatung kombinieren wir dieses Modell mit einem systemischen Blick (Virginia Satir), mit Elementen aus der Transaktionsanalyse (Eric Berne) und der Gestalttherapie (Fritz Perls) sowie mit der Arbeit am inneren Kind (John Bradshaw).

Dazu kommen Erfahrungen vieler anderer therapeutischer und spiritueller Richtungen, wie wir auf unserer Reise sammeln durften; und unser ganz persönlicher Weg.